Gefährliche Kluft zwischen Privatanlegern und Profis

5.08.2024

Kleinanleger suchen in der aktuellen Ausverkaufsphase an der Börse nach Einstiegschancen. Doch damit könnten sie zu früh dran sein – das zeigt das Verhalten der Profis.

Andreas Neuhaus 05.08.2024 – 13:28 Uhr- Dax Umfrage Handelsblatt

Der scharfe Richtungswechsel am deutschen Aktienmarkt samt Kurseinbruch hat die Privatanlegerinnen und -anleger überrascht. Doch sie sehen in dem laufenden Ausverkauf offensichtlich eine Kaufgelegenheit und suchen nach einer Einstiegschance. Das ist das Ergebnis der Handelsblatt-Umfrage Dax

-Sentiment.

Für die Umfrage befragt das Handelsblatt jeden Freitag fast 9000 Privatanlegerinnen und -anleger nach ihrer aktuellen Markteinschätzung. Die Antworten wertet Stephan Heibel, Geschäftsführer des Analysehauses AnimusX, aus und ergänzt sie um weitere Indikatoren.

Um 4,1 Prozent brach der deutsche Leitindex Dax in der abgelaufenen Woche ein. Das ist das schlechteste Wochenergebnis seit zwei Jahren. Auslöser waren vor allem Konjunktursorgen in den USA, wo der Arbeitsmarktbericht und Stimmungsindikatoren ein deutliches Abkühlen der US-Wirtschaft anzeigten.

Da die USA die größte Volkswirtschaft der Welt sind und zudem Deutschlands wichtigster Handelspartner, reduzierten Anleger hierzulande schlagartig ihr Aktienengagement – zumal auch die Entwicklung der europäischen Wirtschaft anzeigt, dass die erhoffte Erholung im zweiten Halbjahr weniger stark als erwartet ausfallen könnte. „Aus der Rotation ‚raus aus Tech, rein in Value‛ wurde ein ‚raus aus allem, was konjunkturabhängig ist‛“, sagt Heibel.

Anlegerstimmung ist extrem schlecht

Die daraus resultierenden Kursverluste ließen die Anlegerstimmung (Sentiment) einbrechen, wie das Umfrageergebnis zeigt. Die Anlegerstimmung erreichte mit minus 6,0 Punkten den niedrigsten Stand seit Ende April. Damals sorgten Spannungen zwischen Israel und dem Iran sowie die Sorge vor den Folgen der hohen Zinsen in den USA für Unruhe am Finanzmarkt.

„Ab Werten unter minus vier Punkten sprechen wir von Extremwerten“, ordnet Heibel ein. „Vor einer Woche noch betrug dieser Wert minus 3,8 Punkte, näherte sich also bereits dem Extremniveau. Doch das deutliche Unterschreiten der Schwelle von minus vier Punkten erfolgte erst in der nun abgelaufenen Woche.“

Im Gegensatz zum April herrscht nun aber auch große Verunsicherung unter den Anlegern: Der dazugehörige Wert fiel mit minus 6,0 Punkten auf den niedrigsten Stand seit Ende Oktober.

„Daraus ist abzulesen, dass der Kurseinbruch der vergangenen Tage überraschend kam für unsere Umfrageteilnehmer“, sagt Heibel. Fast 60 Prozent gaben an, dass ihre Erwartungen in der vergangenen Woche kaum oder überhaupt nicht erfüllt wurden.

In der Vergangenheit waren solche Extremwerte häufig Wendepunkte. In diesem April fiel das mit dem Monatstief zusammen, anschließend stiegen die Kurse drei Wochen um sieben Prozent bis auf das Rekordhoch von 18.893 Punkten. Im vergangenen Oktober war die Stimmung zwei Wochen auf diesem Extremniveau, darauf folgte der zweitstärkste November der Geschichte.

Anleger suchen nach Einstiegszeitpunkt

Zuverlässiger war in der Vergangenheit allerdings der Fünf-Wochen-Durchschnitt des Sentiments. Hier zeigten Kurse von minus 20 häufig eine Bodenbildung beim Dax an – aktuell liegt der Wert bei minus zehn.

Doch die Umfrageteilnehmer setzen offensichtlich schon jetzt auf eine Trendumkehr, stellt Heibel fest: „Trotzig halten Anleger an ihrem Zukunftsoptimismus fest. Die Zukunftserwartung notiert weiterhin auf einem optimistischen Niveau von plus 2,6 Prozent.“

Anleger werden für diesen Unterpunkt danach befragt, in welcher Marktphase sich der Dax ihrer Einschätzung nach in drei Monaten befinden wird. Demnach erwartet deutlich mehr als die Hälfte der Befragten mindestens eine Seitwärtsbewegung. „Trotz der starken Verunsicherung über die aktuelle Entwicklung scheint die grundsätzlich optimistische Überzeugung der Anleger noch nicht in Zweifel gezogen zu werden“, sagt Heibel.

Dadurch bleibt trotz der großen Verunsicherung eine moderate Kaufbereitschaft unter den Umfrageteilnehmern von 1,0 Punkten. Heibel leitet daraus ab: „Das deutlich niedrigere Kursniveau wird offensichtlich noch nicht als Schnäppchen wahrgenommen, doch überwiegend suchen Anleger nach Kaufgelegenheiten.“

Diese grundsätzlich optimistische Haltung zeigt sich auch im Handel am Terminmarkt der Börse Stuttgart. Hier können Privatanleger mit Call-Optionen auf steigende Kurse wetten oder sich mit Put-Optionen gegen fallende Kurse absichern.

Am Euwax-Sentiment der Börse Stuttgart lässt sich ablesen, welche Produkte gefragter sind: Ist der Wert positiv, setzt die Mehrheit mit Call-Optionen auf einen steigenden Dax. Ist er negativ, bereiten sie sich mit Put-Optionen eher auf fallende Kurse vor.

Profis sind deutlich skeptischer

Nachdem der Wert in den vergangenen Wochen moderat negativ war, ist er nun moderat positiv. „Das Absicherungsbedürfnis scheint befriedigt, nun wird eher nach Chancen auf der Long-Seite geschaut“, erklärt Heibel. Also zeigt sich auch hier, dass Privatanleger den laufenden Ausverkauf tendenziell als Kaufgelegenheit sehen.

Allerdings könnten sie damit zu früh dran sein. Denn die Entwicklung an der Eurex, der europäischen Terminbörse für Profianleger, ist völlig anders. Hier ist das Put-Call-Verhältnis auf 3,5 Prozent gestiegen – es werden also deutlich mehr Put- als Call-Optionen gekauft. „Den Profis schwant offensichtlich Fürchterliches“, beobachtet Heibel.

Damit klafft die Erwartung von privaten und professionellen Anlegern auseinander – doch nur eine Gruppe kann recht haben. Das kann die Kursdynamik noch verstärken.

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